So, heute waren die Bilder dran. Seitdem das Fotografieren nur noch Speicherplatz kostet und ich keine Filme mehr kaufen und Abzüge bezahlen muss, wird nahezu alles aufgenommen. Vieles brauche ich dann doch nicht mehr:
Vier arbeitende Kolleginnen und Kollegen in der Reinhardswaldschule, fast alle mit dem Rücken zum Objektiv aufgenommen - kann weg.
Ergebnisse der Gruppenarbeit auf der Flipchart von der selben Veranstaltung - braucht kein Mensch mehr.
Kollege M. in Aktion bei seiner Präsentation - schade, hätte ich behalten können, wenn nicht das Fenster hinter ihm alles überstrahlen würde und man ihn fast gar nicht erkennen kann.
Aber es gibt auch die anderen Bilder.
So diese:
Eine Referendarin hat diese Skulpturen für ihr zweites Staatsexamen von ihren Schülerinnen und Schülern erstellen lassen. Gelesen wurde
Die Physiker von
Friedrich Dürrenmatt.
Ich weiß auch nicht, warum so viele Fachbereichskonferenzen glauben, dass sie die Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe glücklich machen und für die Welt interessieren, wenn sie sie klassenübergreifend zu dieser Lektüre verdonnern. Ja, sie hat ihre Berechtigung. Aber für alle? Und nur diese, ohne aktuelle Werke zu zeitgenössischen Varianten des Themas? Vielleicht weil sie in mehreren Klassensätzen vorhanden ist? Oder weil sie schon so oft unterrichtet wurde, dass keine Unterrichtsvorbereitungen mehr nötig ist?
Na gut, wenn man sich und andere langweilen will. Also: Inhaltsangabe, sprachliche Analyse, Charakteristik der literarischen Figuren, gesellschaftspolitischer Kontext in der damaligen Zeit. (Da kenne ich mich aus und weiß sogar mehr als meine Schülerinnen und Schüler - wenn sie aber nach Facebook fragen würden …).
Hier wird jetzt gezeigt, dass es möglich ist, dem Werk doch noch etwas abzugewinnen. Einfach indem die klassische und für diese Menschen fast ausschließlich in der Schule relevante Charakterisierung der Figuren mit eigenständiger „künstlerischer“ Arbeit erweitert wurde:
Baue eine Skulptur, die die Eigenschaften einer der im Stück gezeigten Figuren deutlich macht. Nutze dazu Material, das du in deinem betrieblichen Alltag zur Verfügung hast (in diesem Fall waren es Auszubildende zum Fachlageristen/zur Fachlageristin)
und stelle sie dann deinen Mitschülerinnen und Mitschülern aus der Nachbarklasse vor, die auch dieses Drama gelesen haben!
Die so entstandenen Gespräche waren spannend, kontrovers und voller Leben. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass hier sehr viel verstanden wurde, weitaus mehr, als mit anderen Unterrichtsformen.
Der Deutschunterricht hat es manchmal schwer mit den Traditionen der beruflichen Schulen. Die Möglichkeiten und Chancen der kulturellen Praxis und eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts werden all zu oft nicht gesehen oder als irrelevant für die berufliche Ausbildung angesehen. Aber meine Erfahrungen als Vater von vier Kindern haben mir gezeigt, dass auch in den allgemeinbildenden Schulen die Situation im Deutschunterricht nicht wesentlich anders ist. Auch dort die öde Wüste des langweiligen Umgangs mit Literatur, der selbst die noch begeisterte Leserin (und Leser gibt es kaum noch in den Schulen) vergrätzt, statt sie zu fördern.
An der fachdidaktischen Diskussion scheint es nicht zu liegen. Dort ist alles längst bekannt und immer wieder gesagt. Ich selbst habe in meinem Referendariat (1983!)
Kaspar H. Spinner entdeckt und schätzen gelernt. Sein Ansatz hat mich das ganze Leben hindurch begleitet und mir die schönsten Unterrichtsstunden geschenkt.
Auch gibt es in den beruflichen Schulen seit dieser Zeit vielfältige Ansätze von gutem Literaturunterricht, aber so ganz angenommen und akzeptiert wird er immer noch nicht.
Mein alter Schulleiter hat mir 1985 verwehrt, an einer mehrjährigen Fortbildungsveranstaltung in Theaterpädagogik teilzunehmen und ich hatte als junger und unerfahrener Lehrer nicht den Mut, mich richtig mit ihm anzulegen. Seine Worte habe ich heute noch deutlich im Ohr:
„Wir sind eine berufliche Schule, wir spielen nicht!“
Gut, dass meine Referendarinnen und Referendare heute viel mutiger sind, als ich damals war.
jsk - 4. Jan, 10:00